Tag 3 – Isfahan
„Hello! Welcome to Iran!“, begrüßt mich ein Iraner in den Dreißigern, während wir durch den Innenhof der Jameh Moschee schlendern. Nach einem überschaubaren Frühstück im Hotel möchten wir die Stadt erkunden und werden auch heute wieder alle paar Meter von einem Einheimischen freundlich gegrüßt. Der nette Mann in der Moschee spricht nur wenig Englisch, möchte aber gleich wissen, wie mir sein Land gefällt, um sofort zu erklären: „Iran…“, während er mit seinem Daumen nach oben zeigt, „Politik…“, Daumen nach unten. Es entwickelt sich eine Unterhaltung auf sprachlichem Minimalniveau.
Er: „Aleman…Merkel…“, Daumen hoch.
Ich (mit abwägendem Gesichtsausdruck): „Nun ja…“, Daumen waagerecht mit Tendenz nach oben.
Er: (strahlend) „Bayern Munchen…“, Daumen hoch.
Ich: „…naja…“, ohne Daumen.
Er „Mehdi Mahdavikia!“ – Daumen ganz weit nach oben.
Ich: „Yes…“ Daumen hoch, „but HSV…“ (trauriges Gesicht), Daumen nach unten…
So geht es eine ganze Weile weiter. Wir tauschen ein paar Schlagworte und unsere jeweilige Einschätzung dazu aus, dann verabschiedet er sich fröhlich mit einem „Bye bye, welcome to Iran!“ So oder ganz ähnlich sollen noch zahlreiche Kurzbegegnungen mit Iranern in den kommenden Tagen ablaufen – irgendwie durchaus sympathisch!
Die Isfahaner Jameh Moschee selbst ist sehr hübsch, im Vergleich zu den unzähligen weiteren Moscheen, die wir noch zu Gesicht bekommen werden, durchaus eine der besuchenswerteren. Eigentlich kostet ihr Besuch für Touristen 200.000 Rials Eintritt, wie wir beim Hinausgehen feststellen – aber offenbar waren wir zu früh für das Kassenhäuschen, das bei unserem Eintritt dank der mittäglichen Gebetsstunde noch geschlossen war.
Direkt neben der Moschee befindet sich ein großer Platz, der von einem kleinen Basar umgeben ist, selbst aber eher leer und schmucklos wirkt und angesichts der starken Hitze auch nicht gerade zum Verweilen einlädt. Wir nehmen uns stattdessen ein Taxi und fahren zum Zayandeh Rud Fluss, um uns die berühmte Khaju Bridge anzuschauen. In den Sommermonaten führt der Fluss bedauerlicherweise kein Wasser, so dass seine vielen Brücken nur ein großes, steiniges Flussbett überqueren und einige Menschen den Weg direkt über das Flussbett abkürzen. Mit Wasser wäre diese Brücke sicher ein noch viel beindruckenderes Fotomotiv, aber auch so ist sie sehr hübsch und belebt. Viele Iraner sitzen hier zwischen Torbögen im Schatten und lesen, musizieren oder halten einfach nur ein nachmittägliches Nickerchen.
Am Ufer des ausgetrockneten Flusses verläuft eine parkähnliche Anlage mit Spazierweg, auf den zahlreichen Bänken entlang des Weges sieht man immer wieder händchenhaltende und Zärtlichkeiten austauschende junge Paare. Mit einem jungen Mann, der mit seinem dünnen Schnurr- und Spitzbart aussieht wie einer der Musketiere, komme ich ins Gespräch. In sehr gutem Englisch berichtet er mir, dass er demnächst zum Studieren ins Ausland gehen möchte, nach Deutschland oder Kanada – hier im Iran hätten die jungen Menschen einfach keine Zukunftsperspektive. Freimütig erzählt er mir, dass er mit Religion nichts anfangen kann und sich von der Regierung unterdrückt fühlt – Aussagen, für die er in diesem Land empfindliche Bestrafung fürchten müsste, würde er sie dem Falschen ins Gesicht sagen. Offenbar ist aber die Unzufriedenheit der Jugend stärker ist als die Furcht vor Strafe, oder aber ein Ausländer als Adressat derartiger Meinungsbekundungen als sichere Instanz angesehen, vor der man sich nicht fürchten muss.
Auf unserem Weg in Richtung des armenischen Viertels der Stadt kommen wir zum Kowsar Trade Center, einem relativ großen Einkaufszentrum, das schon etwas älter wirkt. Bekannte Geschäfte ausländischer Modefirmen sucht man hier vergeblich, stattdessen findet man zahllose Juwelierläden und einige Bekleidungsgeschäfte, in denen selbst die Schaufensterpuppen Kopftücher tragen. Eigentlich bin ich ein ziemlicher Shopping-addict, aber hier lädt mich nichts, aber auch rein gar nichts zu einem ausgedehnten Schaufensterbummel ein. In einer Wechselstube im Obergeschoss des Centers tauschen wir noch einmal 200 Euro in Rial und ziehen dann zügig weiter.
Das ganze armenische Viertel wirkt sehr modern und mit seinen vielen Boutiquen, hippen Cafés und Restaurants geradezu westlich. Für einen entspannten Bummel bleibt aber leider nicht viel Zeit, weil wir uns noch die Vank Kathedrale ansehen möchten, eine alte und wahnsinnig hübsche, sehr besondere armenische Kirche im Zentrum des Viertels. Wir fragen einen vorbeikommenden Vater mit Sohn, wie wir zu ihr gelangen können und werden erneut von der großen Gastfreundlichkeit der Iraner überwältigt. Er bringt uns nicht nur selbst dorthin, sondern bezahlt auch noch unseren Eintritt! – jeglicher Widerstand zwecklos! Für den Fall, dass wir länger in der Stadt bleiben möchten oder aber noch einmal wiederzukehren gedenken, lädt er uns zum Abschied noch ein, bei ihm und seiner Familie zu übernachten. Ein iranischer Tourist würde dies bei einem Besuch in Hannover sicher nicht erleben…
Die Vank Kathedrale, oder auch die „Kirche der heiligen Schwestern“, ist zwischen 1655 und 1664 erbaut worden und erinnert von außen mit ihrer großen Kuppel zunächst an eine Moschee, auch wenn auf der Kuppel ein Kreuz prangt. In ihrem Inneren ist sie jedoch mit ihren feinen Wand- und Deckenmalereien, die u.a. die biblische Menschheitsgeschichte und die Vertreibung aus dem Paradies abbilden, vergoldeten Schnitzereien und prunkvollen Fliesenvertäfelungen einzigartig. Ein Glockenturm steht als separates Gebäude neben der Kirche. Auf dem Kirchengelände wurde außerdem ein Denkmal für die Opfer des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich errichtet – ein gerade hochaktuelles Thema, zu dem die Türkei ziemlich exklusiv eine gänzlich andere Position vertritt. Der Gebäudekomplex wird durch ein besuchenswertes Museum abgerundet – eine Vielzahl von Besuchern legt Beweis ob der Besonderheit dieses Ortes ab!
Inzwischen ist es schon 18:00 Uhr, mein Magen knurrt, und wir beschließen, noch weiter zum Naqsh-e Jahan Square zu fahren. Bald soll es in Esfahan auch eine U-Bahn geben, die uns wieder nach Norden bringen könnte, ihr Fertigstellungstermin wurde allerdings mehrfach nach hinten verschoben, und es dürfte wohl auch noch einige Monate dauern, bis die Strecke entlang der Chahar Bagh Hauptstraße tatsächlich eröffnet wird. So bleibt uns also nur das Taxi, und da dessen Fahrer kein einziges Wort Englisch spricht, zeigen wir ihm auf dem Stadtplan, wo wir denn gern hin möchten.
„Hello, where are you from?“ – kaum auf dem Square angekommen, spricht mich ein etwa 18-jähriger Iraner an, umringt von seiner Familie. Er erzählt mir, dass er in Abendkursen Englisch lernt, weil er gern im Ausland studieren möchte, am liebsten in den USA oder irgendwo in Europa. Hier im Iran hätte die Jugend doch eh keine Chance. Es gäbe kaum Arbeitsplätze, und er fühle sich „gefangen“. Auch seine Eltern wirken prima vista liberal. Der Vater, ein Künstler mit ergrauter, schulterlanger Lockenmähne, nickt zustimmend, auch wenn er selbst nur einige wenige Worte Englisch spricht. Sein Sohn soll eine bessere Zukunft haben und die findet er nicht in diesem Land. Präsident Rohani sei zwar schon eine Verbesserung gegenüber dessen Vorgänger Ahmadinedschad, aber gegen die Macht der Mullahs käme auch er nicht an. Es stimmt einen schon traurig, wenn eine ganze Generation ihr Land aufzugeben scheint… Gerade auf dieser liberaleren Jugend sollte doch eigentlich die Hoffnung auf einen politischen Wandel von innen heraus ruhen!
Die Abendstimmung auf dem Naqsh-e Jahan Square ist absolut umwerfend! Mit 560 mal 160 Metern zählt er zu den größten Plätzen der Welt und steht seit 1979 in seiner Gesamtheit als Ensemble völlig zurecht als bedeutende historische Stätte auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. Umrahmt ist der Platz von zweistöckigen Arkaden mit Bogengängen, in denen sich ein Teil des alten Basars befindet. An den Seiten befinden sich mit der Königsmoschee Masdsched-e Emam, der prachtvollen Scheich-Lotfollah-Moschee sowie der Hohen Pforte Ali Quapu, einem Palast mit einer imposanten Aussichtsplattform, von der der König früher das Treiben auf dem Markt beobachten konnte, gleich drei prunkvolle Gebäude, die den Platz in seiner Gesamtheit noch eindrucksvoller erscheinen lassen.
Um den zentralen Brunnen herum und auf beinahe sämtlichen Rasenflächen picknicken iranische Großfamilien, teilweise auf eigens dazu mitgebrachten Perserteppichen. Auf einem breiten Sandweg um den Innenplatz, der fast wie eine Pferderennbahn anmutet, fahren zahlreiche Kutschen im Kreis, und auf dem Fußweg vor den Arkaden flanieren Familien oder händchenhaltende junge Pärchen. Ab und zu fährt mal ein Jugendlicher auf seinem Elektro-Scooter oder mit Inlinern vorbei. Wir holen uns Hähnchenteile in einem Lokal, das sehr stark an Kentucky Fried Chicken erinnert, setzen uns an den Brunnen und beobachten das bunte Treiben. Der Square wird zu unserem Lieblingsplatz in Isfahan, die Stimmung hier ist so entspannt, ausgelassen und fröhlich, und die Menschen wirken geradezu unbeschwert. Einfach schön, dies mitten im Iran so zu erleben!
Kürzlich stießen wir zufällig auf einen BBC-Artikel über einen (iranischen) Gletscher in der Wüste. Neben tollen Bildern enthielt der Artikel auch die Kontaktdaten eines Reiseveranstalters, der gelegentlich Touren dorthin anbietet. Als wir uns in Kashan mit unserem holländischen Mitreisenden unterhielten, stellte sich heraus, dass auch er diesen Artikel gelesen hatte und sehr gern dorthin fahren würde. Wir vereinbarten locker, uns für einen Ausflug dorthin zusammenzutun, da er einen Tag später ebenfalls nach Esfahan kommen würde. Nachdem wir uns vergewissert haben, dass er weiterhin an diesem Ausflug interessiert ist, rufen wir den Tour-Guide an und fragen nach der Möglichkeit und den Konditionen für diese Exkursion. Wir vereinbaren eine Abholung am kommenden Morgen um 8:00 Uhr vor unserem Hotel. Sollte es dem Guide gelingen, noch eine vierte Person dafür aufzutreiben, würde der Ausflug 30 USD pro Person kosten. Perfekt!
Auf unserem Rückweg bleiben wir vor einem superschönen Teppichladen stehen und werden natürlich prompt auf eine kleine Unterhaltung hineingebeten. Wir fragen den Inhaber, ob er viele Teppiche an ausländische Touristen verkaufen kann. In einem Land, in dem man weder mit Kreditkarte bezahlen noch Geld am Automaten ziehen kann, stellen wir es uns nicht gerade einfach vor, hochpreisige Ware an das sicher interessierte ausländische Publikum zu veräußern. Es dürften wohl die wenigsten so viel Bargeld mit ins Land gebracht haben, dass mal eben ein paar hundert bis tausend Dollar zusätzlich für einen echten Perser-Teppich drin sind! Zu unserer großen Überraschung entgegnet er, das sei überhaupt kein Problem, er würde seinen Kunden vertrauen und ihnen den Teppich mitgeben. Diese könnten dann später den Kaufpreis auf sein Bankkonto in China überweisen… Bisher hätte er diesbezüglich keine negativen Erfahrungen machen müssen. Uns blieb nur, ihm zu wünschen, dass dies auch so bleiben möge!!!