Tag 4: Zard-Kuh -Gletscher in der Wüste und ich im Eisfluss
Pünktlich um 8:00 Uhr steht ein uralter Minibus vor unserem Hotel, vor dem neben unserem Guide und dem Fahrer bereits sechs Personen warten. Unser Guide hatte heute Morgen offenbar in einem anderen Hotel für seinen Ausflug geworben, so dass spontan noch einige Touristen mit von der Partie sind. Insgesamt besteht unsere Gruppe nun aus zwei Japanern, einem Hongkong-Chinesen, zwei deutschen Mädels aus Erfurt, unserem holländischen Bekannten namens Mike und uns Beiden. Der Preis bleibt aber trotzdem bei 30 USD pro Person, weil unser Guide ja nun einen größeren Wagen und einen Fahrer bezahlen muss…
In unserer Klapperkiste geht es die nächsten vier Stunden über mal bessere und häufiger über schlechtere Straßen, durch kleinere und größere Orte und über etwa 5000 Bodenschweller, bis wir schließlich ein kleines Örtchen hoch in den Bergen erreichen, dessen (kleiner!) Wasserfall geradezu ein Magnet für iranische Touristen zu sein scheint. Jedenfalls lassen sich ganze Familien in verschiedenen Kombinationen davor fotografieren und testen die Kapazität ihrer Selfie-Sticks, die hier extrem populär sind! Wir machen einen Fahrzeugwechsel und fahren nunmehr auf der Ladefläche eines alten Pickups über staubige Schotterpisten ins Hochland des Gebirges. Als Sitzgelegenheiten dienen lediglich zwei alte Reifen, der Rest setzt sich auf die blanke Ladefläche und wird bei dem bemerkenswerten Tempo, in dem der Wagen über die Schotterpisten rast, kräftig durchgeschüttelt. Abenteuer pur – auf einer Strecke, die unser Pickup hauptsächlich mit Schaf-, Ziegen- und Kuhherden und deren Hirten teilt…
Nach ca. weiteren 30 Minuten Fahrtzeit erreichen wir ein kleines Zeltdorf in den Bergen, in dem ein Nomadenstamm jedes Jahr den Sommer verbringt, seine Ziegen hütet und die wenigen Touristen, die sich hierher verirren, in großen, mit Perserteppichen ausgelegten Jurten bewirtet. Auch wir werden in eines der Zelte platziert und stärken uns erstmal mit frischem Lamm-Kebab und Fladenbrot. Der Ort Zard-Kuh ist touristisch noch relativ unbekannt, so dass unsere kleine internationale Gruppe hier bei den ansonsten ausschließlich iranischen Besuchern auf großes Interesse stößt. Unterhaltungen mit den Einheimischen kommen dennoch kaum zustande, denn Englisch spricht hier so gut wie niemand…
Da wir sogleich durch den Gebirgsfluss waten müssen, kaufe ich mir, wie auch die Mehrheit unserer Mitreisenden, die keine Ersatzschuhe eingepackt hatten, ein paar einfache Plastik-Latschen für 50.000 Rial (1,25 Euro). Vom Kebab gestärkt, geht es dann am frühen Nachmittag los.
Durch einen zunächst kleinen Bach, der aus dem eiskalten Schmelzwasser der Gletscher besteht, beginnen wir unseren Marsch, angeführt von einem etwa 10jährigen Führer, der zu den hier wohnenden Nomaden gehört. Je weiter wir in die schmaler werdende Schlucht vordringen, desto tiefer und reißender wird der Fluss, an einigen Stellen stehen wir bis zur Hüfte im Wasser. Schlagartig wird uns klar, wie man bei einem Schiffbruch innerhalb kürzester Zeit an Unterkühlung sterben kann! Während es über der Wasseroberfläche angenehme 30 Grad warm ist, scheint die Temperatur im Fluss selbst knapp über dem Gefrierpunkt zu liegen, und die Beine sind kaum noch zu spüren. So wird jede Untiefe und jeder im Fluss liegende Felsbrocken genutzt, sich der gemeinen Kälte zu entziehen.
Nach einer Weile erreichen wir den ersten Gletscher, der sich zwischen den Felswänden spannt. Im Winter türmt sich hier eine 40 Meter hohe Schneewand, von der im Sommer angesichts der hohen Lufttemperaturen nur noch ein relativ kleiner Eishügel übrigbleibt. Das Schmelzwasser hat einen eindrucksvollen Tunnel durch das Eis gespült, durch den wir zur anderen Seite des Gletschers gelangen.
Ich bin gerade dabei, ein paar Fotos vom Gletscher zu schießen, als es plötzlich laut wird. Aufgeregt fuchtelt der Hongkong-Chinese mit seinen Armen in der Luft herum und ruft, während eine seiner Plastik-Sandalen an mir vorbei den Fluss entlang treibt. Ohne zu zögern, versuche ich den Weg abzukürzen und laufe ins Wasser, wo ich die Sandale auch fast erreiche….aber eben nur fast. Was ich nicht bedacht hatte: die Strömung sieht zwar nicht besonders stark aus, hat man aber keinen sicheren Stand, zieht sie einem im Nu die Beine weg.
Während bei mir im eiskalten Wasser der Atem aussetzt, passieren zwei Dinge gleichzeitig: 1. Unsere Kamera, die ich noch immer eingeschaltet umklammere, flackert ein letztes Mal, bevor sie sich für immer verabschiedet. 2. Meine Plastik-Sandalen, die ich gerade erst erstanden habe, entschließen sich spontan, der vorbeigetriebenen Sandale Gesellschaft zu leisten und sich von meinen Füßen loszureißen. Ein wenig traurig blicke ich ihnen hinterher, während sie hinter der nächsten Flussbiegung verschwinden. Fluss: 3, Patrick: 0.
Zum Glück hat mein Handy, das ich in meiner Hosentasche aufbewahrt hatte, das erfrischende Eisbad heil überstanden. Ab jetzt gibt es allerdings nur noch Handy-Fotos auf der Reise…
Immerhin macht es sich nun bezahlt, dass ich meine Chucks im Rucksack mitgenommen und nicht wie die anderen im Zelt gelassen habe. Nun werden sie zwar leider nass, barfuß über einen Gletscher laufen wäre aber wohl das größere Übel.
Ein Stück flussaufwärts kommen wir zu einem zweiten Gletscher. Auch dieser besitzt einen vom Fluss ausgehöhlten Tunnel, aber weil die Durchquerung laut unserem Junior-Guide zu gefährlich wäre, besteigen wir den Gletscher diesmal. Bei 30 Grad im T-Shirt in einem iranischen Wüstengebirge auf dem Gletschereis zu stehen – ein beeindruckender Moment, der ein wenig über das Opfer meiner Kamera hinweg tröstet.
Den Rückweg durch den Fluss müssen wir ein wenig zügiger zurücklegen, auf 4200 Metern Höhe wird es abends bei Sonnenuntergangsstimmung sehr schnell sehr frisch. Wer an das Mitbringen trockener Kleidung gedacht hat, zieht sich zurück in der Jurte um, der Rest lässt die Klamotten einfach am Körper durch die schwächer gewordene, aber noch immer scheinende Abendsonne trocknen. Dann geht es mit dem Pickup wieder über den holprigen Weg die Berge runter, die Piste erneut mit zahllosen Schafen, Ziegen und Kühen teilend.
Mit unserem Minibus geht es anschließend wieder die gut 250km aneinandergereihten Bodenschwellen zurück nach Isfahan, und wir sind schwer beeindruckt, wie fest Asiaten schlafen können – offenbar völlig unabhängig von Ort und Zeit… Obwohl wir auf unseren Sitzen nur hin und her geschüttelt werden, liegt bald der Kopf des neben mir sitzenden Hongkong-Chinesen auf meiner Schulter, der des anderen Japaners auf Lisas…
Bevor wir gegen 22:00 Uhr wieder an unserem Hotel abgesetzt werden, lädt unser Guide uns noch alle bei einem letzten Halt in Isfahan zu einem Eis ein. Besondere Spezialität ist neben dem Safraneis, das wegen des Beigeschmacks nicht so mein Fall ist, vor allem das Faludeh Eis – eine Art vereiste Glasnudeln mit Fruchtsoße aus Stärke hergestellt, bzw. je nach Region auch in einem Sirup aus Zucker und Rosenwasser. Sieht zwar lecker aus, ich entscheide mich aber lieber für ein simples Schokoladeneis.